Max Goldt: Affige Pizzen

(Mai I997)

Als Kind dachte ich, ein schönes Leben könnte man führen, wenn man Alexander hieße. Die Buben in meiner Altersstufe, die Alexander hießen, waren insgesamt recht fein und vornehm, sie spielten Cello, gingen aufs Altsprachliche, sahen gut aus und hatten chice Pullis und ultramoderne Mütter, die rauchend die Tür öffneten, wenn es klingelte. Als Erwachsener weiß ich, dass meine jugendliche Ahnung in bezug auf den Namen Alexander nicht falsch war. Alexanders bewohnen bombastische Altbauwohnungen oder Villen, denn in der Erfüllung ihrer noblen Aufgaben legen sie prächtige Kunstfertigkeit an den Tag, für welche sie die wunderbarsten Honorare verdienterweise ausgehändigt bekommen. Auch Gustav oder Reinhold kann man getrost heißen, denn auch die Träger dieser Namen fallen in beinahe gleicher Weise durch gepflegte Daseinsbewerkstelligung auf. Solche Leute haben zu tun in London oder Mailand, »für einige Tage«, und nebenbei treffen sie sich dort mit Frauen, von denen es heißt, dass sie zu den geistreichsten Frauen Englands etc. gehören. Herrlich: Man steht mit einer der geistreichsten Frauen Londons in einem mondänen Salon voll verschnörkelter Beistelltischchen, man steht so nah bei ihr, dass der Gedanke sich aufdrängt, ihr am Ohr zu nagen, da öffnet sich plötzlich die Doppelflügeltür, und einer der begehrtesten Junggesellen der Lombardei sagt: AHA! (Er meint nicht die norwegische Popgruppe.) Alexanders erleben was. Ein aufregendes Leben haben auch die Träger ungewöhnlicher Vornamen. Ich erwähne dies, weil ich in einem Buch gelesen habe, dass die Träger normaler, durchschnittlicher Namen bei den Mitmenschen besser ankommen, beliebter seien. Naja. Beliebt im Büro vielleicht. »Christian kommt bei seinen Kollegen in der Wurstbude gut an.« Das will ich gern glauben. Wer jedoch nicht im Büro, sondern in Konzertsälen, bei Feingeistern, im Feuilleton der 'FAZ' beliebt sein will, der heiße bitte anders. Tankred Dorst oder so.

Ideal ist ein äußerst ungewöhnlicher Vorname in Kombination mit einem klangvollen, aber nicht ganz so außergewöhnlichen Nachnamen. Z. B. Durs Grünbein. Guter Name, guter Dichter! Oder Frowalte Pilz. Die Frau gibt's auch wirklich. Eine Sopranistin, glaube ich. Was auch immer, solche Namen merke ich mir. Professor Bazon Brock. Ein Name wie ein juwelenbesetzter Betonbrocken. »Edelsteine sind die Augen Gottes«, stand einmal auf einem Kalenderblatt. Darunter stand »Indianische Weisheit«. Es hätte mich aber auch nicht gestört, wenn drunter gestanden wäre »Indianische Doofheit«. Bazon Brock wurde 1969 Ästhetik-Professor in Hamburg und Wien. Das steht immer unter den Bazon-Brock-Bildchen, die Bazon-Brock-Aussagen in den Medien verzieren. Bazon Brock ist kein Mann, über den ich viel weiß. Sicher hat er eine tolle Wohnung. Biblisch teuer und quadratmeterstark. Um von der Küche ins Wohnzimmer zu kommen, muss er ein Taxi nehmen. Er besitzt bestimmt ganz viele 128 DM oder noch teurere Bildbände von Schirmer & Mosel. Die kriegt er nachgeschmissen bei seiner Position. Er hat sich die Bildbände und die Position aber redlich verdient. Immer fleißig, auf Achse und ordentlich. Dem hängt hinten nicht das Hemd aus der Hose. Der hat keine alten Suppenwürfel von der Firma Pottkieker auf der Küchenfensterbank liegen. Dem hängt auch vorne nichts aus der Hose! Der steht nicht mit freiem Oberkörper auf dem Balkon und raucht vom Heizkörperableser geschnorrte Rothändle. Man wird auch nicht Asthetik-Professor dafür, dass man mit nassen Haaren auf die Straße geht und in die Gelbe Tonne »rotzt«. Da muss man schon etwas mehr »bringen«. Eine gute Voraussetzung ist immerhin ein etwas eigentümlicher Name. Wer Torsten Böhme heißt, wird vielleicht ein gefragter Computerheini, aber eine Ästhetikprofessur kann er sich von der Backe wischen.

Gerwald Rockenschaub muss man heißen. Dann wird man Künstler. Wenn zwei Leute im Café sitzen und draußen geht Gerwald Rockenschaub vorbei, dann wird später im Pyjama ins Tagebuch notiert: »Gerade als ich den Mut gefunden hatte, Natalie darauf hinzuweisen, dass sie auch nicht mehr die jüngste sei und keinen Anlass habe, sich über Matthieus und Cathérines ach so seniles Verhalten während der Erotica-Versteigerung an der Möhnetalsperre zu beklagen, ging draußen Gerwald Rockenschaub vorbei.« Wer so heißt, der fetzt, der schockt von Natur aus, der ist zum Supersein erkoren. Sein Leben ist ein Gefauche. Mir fällt auf Anhieb nur eine Person mit langweiligem Namen ein, die etwas Knalliges geworden ist: Sabine Meyer, die berühmteste Klarinettistin der Welt. Die ist aber auch süß. Alle anderen heißen ja doch eher Bibs Hoisak-Robb, die Designerin der Kreuzung zwischen Löffel und Gabel, des Göffels.
    Manchmal reicht schon ein einziger Buchstabe, um einen Namen chic werden zu lassen. Es gibt einen Mann namens Nathias Neutert. Nathias statt Mathias. So wie Griedrich der Große (erfunden) oder Jonica Jahr (echt, KIatschkolumnistin). Was Nathias Neutert macht, weiß ich gar nicht. Ich kenne nur den spektakulären Namen. Ich glaube, der sitzt irgendwo in einer duften Altbauwohnung, und wenn etwas passiert auf der Welt, Vulkanausbruch oder soziale Wirren, dann wird er telefonisch gefragt, ob er das Ereignis bescheuert oder klasse findet, und dann sagt er das und kriegt einen Batzen Zaster überwiesen.

Nachts um drei bekommt er Hunger auf Würstchen, aber es sind keine Würstchen im Haus! Da schickt er seine wahrscheinlich bildschöne Frau zur Tankstelle, ihm welche zu holen. Nach einer Stunde kommt die Olle ohne zurück, denn die Tanke hatte zu. Ihr Mann verkloppt sie aber keineswegs, denn er ist ja nicht der tote SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer, sondern Nathias Neutert, und der nimmt seine Schöne in den Arm und sagt: »Verzeih, meine Liebste, dass ich dich in morscher Nacht bei minus 35 Grad im Schatten im Übergangsmantel mit nichts darunter zur Tanke schickte, aber wir Männer sind halt manchmal wilde Tiere, und deswegen liebt ihr Frauen uns doch so.« Ich will hier zwischenschieben, dass ich hier wieder mal gar nicht recherchiert habe. Ich weiß überhaupt nichts über Nathias Neutert. Es wäre mir entsetzlich peinlich, wenn unvorteilhafte Verwicklungen dazu führten, dass Nathias Neutert diese Zeilen in die Hände kriegt. Augenblicklich bemächtigt sich meiner eine vorauseilende Errötung betreffs meiner zurückliegenden frechen Erfindungen. Andererseits fühle ich mich presserechtlich wie im siebten Himmel, weil ich glaube, es ist nicht gegendarstellungspflichtig, über jemanden zu behaupten, dass er seine Frau unvermöbelt lässt, insbesondere dann, wenn er evtl. eh keine Frau hat. Das wäre presserechtlich ja quasi der achte Himmel, wenn man behauptet, dass jemand seine schier gar nicht vorhandene Gemahlin nicht schlägt.

Nachdem nun also Frau Neutert als wurstlose Unvermöbelte an die Brust des Gatten sank und Entschuldigungen erschollen, wird bei Joey's Pizza eine Mandarinenpizza bestellt, worauf die beiden in der Küche sitzen und die Pizza aufessen, womit nun aber Schluss mit den teuflischen Unterstellungen sein soll. Ich kenne den Mann ja überhaupt nicht, und seine Frau ist mir terra incognita, eine Gegend, die noch nie der Fuß eines Menschen berührte. Außerdem schwebt ja noch immer die graue Wolke einer Möglichkeit durch die Republik, dass Nathias Neutert gar keine Frau hat. Armer Kerl. Und wenn er doch eine hat, dann will ich sie gar nicht mit den Füßen berühren. Das würde ihr evtl. nicht behagen. Ich sah mal ein Heftchen, in dem waren nur Amateurfotos von Frauenfüßen, auch von schmutzigen und angeschwollenen. Da es diese Heftchen in Sexshops gibt, fallen sie wohl in den Bereich der Pornographie. Ob man sich wohl strafbar macht, wenn man ein Magazin herausgibt, in denen Fotos von unbestrumpften Kinderfüßchen zu sehen sind? Ist das Kinderpornographie? Es käme vielleicht auf das Zielpublikum an. Ob man die Kinderfußbilder veröffentlicht, damit alte Frauen Strümpfe für die Füßlein stricken oder damit alte Männer sich einen darauf absabbern. Fort mit diesem unschönen Gedanken. Es ist schon unschön genug, dass es bei Joey's Pizza mit Mandarinen belegte Pizzen gibt, jedenfalls zur Zeit dieser Niederschrift. Ein Bringdienst-Evergreen dürfte das nicht werden. Eher ein Spaß für gutsituierte Fieslinge: Jemandem, den man nicht leiden kann, mitten in der Nacht eine gewaltige Jumbo-Pizza für zwei Personen, ein veritables Wagenrad ins Haus zu schicken, nur mit Mandarinen belegt. Noch ein armer Kerl.

Die Continuity will, dass ich hier von einer weiteren Pizza berichte, welche ich kürzlich bei einem maßvoll angenobelten Italiener nicht ganz aufaß. Die Pizza war belegt mit einigen Normalo-Belägen, zusätzlich auch mit einer Reihe kalter Lachsscheiben, und auf den Lachsscheiben war Schlagsahne. Dies war die affigste Pizza meines Lebens, und man glaube mir: Mein Leben war nicht arm an affigen Pizzen. Affige Pizzen säumten die steinige Straße, die in meine dornige Gegenwart mündet. Dem Vergnügen zuliebe habe ich mir neulich ein Gericht ausgedacht, welches zwar affig ist, aber vermutlich sehr wohlschmeckend, andererseits aber so arbeitsaufwendig, dass es wohl niemals auf irgendeiner Speisekarte auftauchen wird: Mit Spinat gefüllte Johannisbeeren.
    Überall angeboten wird hingegen seit neuestem Victoriabarschfilet. Früher gab es nie Barsch. »Barsch für alle« ist ein Ruf, der bislang selten in deutschen Gastwirtschaften ertönte. Nun aber aus heiterem Himmel volles Rohr Barsch landauf, landab. Ich fragte eine Fischverkäuferin, ob der Victoriabarsch aus dem Victoriasee in Afrika stamme, da meinte die: »Muss er ja wohl.« Ich finde, bevor das deutsche Volk den Victoriasee leermampft, sollte es lieber mal nachgucken, ob im Titisee Titibarsche sind und erstmal die essen. Oder folgendes Gericht: Schnecken mit Austern und Würstchen. Doch nun wird mir übel. Ich will an die Luft!

Die Luft in Hamburg ist sehr gut. Es ist die beste Großstadtluft des Kontinents. Wenn man für einige Tage in Berlin war und nach Hamburg zurückkehrt, muss man sich im Badezimmer nackt ausziehen und sich einige Minuten schütteln, damit die Pickel von einem abfallen, die man von der Berliner Luft bekommen hat. Man kann sie mit dem Kehrblech dann hübsch aufkehren. Die Hamburger Luft ist dermaßen gut, dass eine Frau namens Gudrun keinen Mann findet. Denn wer will bei der guten Luft einen Namen rufen, der keine Vokale außer zwei U enthält, ein Laut, bei dem man den Mund kaum öffnen muss? An der Alster möchte man Frauen heiraten, bei denen man den Mund möglichst weit aufsperren muss, wenn man sie ruft, um auf diese Weise möglichst große Konvolute der guten Luft einzuatmen. Barbaras werden in Hamburg vom Fleck weg geheiratet. »Barbara, mach deinem Mann Bananen-Rhabarber-Marmeladensalat«, tönt es oft durch Hamburger Straßen. Dies vergleiche man mit dem Wort Kulturbundschulung. Dies ist vielleicht das einzige echte deutsche Wort mit fünf U, also ein Wort, das tatsächlich in allgemeinem Gebrauch war, und zwar in der DDR. Mit dieser ist es auch untergegangen. Die Leute werden denken, der Begriff verschwand, weil der durch ihn bezeichnete Gegenstand nicht mehr existiert. Dies glaube ich nicht. Ich glaube, das Wort verschwand, weil durch den industriellen Zusammenbruch im Osten die Luft besser wurde und die Menschen dort solche Mümmelwörter nicht mehr brauchen. Wer solche Zusammenhänge bezweifelt, der soll doch mal nachts auf die Straße gehen und sich von Verbrechern überfallen lassen. Die Verbrecher hauen einen nieder und legen einen so auf den Boden, dass sich der Mund direkt vor dem Auspuff eines Autos mit laufendem Motor befindet. Weil es ihrer üblen Natur entspricht, herrschen einen die Verbrecher nun an: »Nenn den Namen irgendeiner Stadt, sonst knallen wir dich ab.« Wer klug ist, sagt: »Ulm.«
    Nur ein ausgemachter Trottel würde »Antananarivo« sagen. Denn nicht genug damit, dass da schon vier A enthalten sind, würden die Verbrecher fragen: »Was isn det?«, und man muss antworten: »Hauptstadt von Madagaskar«, und schon ist man kohlenmonoxidhalber dahin.

(Aus: Max Goldt, 'Mind-boggling' - Evening Post, Haffmans Verlag, 1998)


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