Am Anfang war das Wort
Von Hanno Harnisch
»Habseligkeiten«. Welch »schönes« Wort?! Unwörter gibt es zuhauf. Sie werden jedes Jahr gekürt. Die Zeitungen bringen die Meldung immer ganz »vorne«. Vielleicht als kleine Wiedergutmachung dafür, dass sie zuvor immer unbekrittelt durch die (Leit)Artikel geistern ließ. Käme jemand auf die Idee käme, Unwörter des Monats oder gar der Woche auszusuchen, er hätte leichte Arbeit.
Wie viel mühseliger ist da doch die Suche nach dem Schönen. An Mut hat das Goethe-Institut nicht gespart, auch nicht an Mühe, um jetzt endlich unser schönstes Wort »freizupräparieren«. Nicht - wie erwartet - »Liebe« gewann den Schönheitspreis. »Habseligkeiten« steht vorne. Bezeichnet dieses Wort doch mit einem »freundlich-mitleidigen Unterton«, so die Jury, gleichwohl die Besitztümer etwa eines Kindes oder eines Obdachlosen. Puppenlappen und Nachtasyl. Anbeginn und Absturz. Wie versöhnend doch diese Wortwahl. Wie ernst, wie verblüffend - auf den ersten Blick. »Rhabarbermarmelade« - auf Platz fünf gelandet - spricht sich einfach nur schön. »Habseligkeiten« sollen schön sein. Nicht pfändbar. Was gilt schon irdischer Besitz gegen im Leben unerreichbare Seligkeit? Haben ist seliger denn nicht haben. Armut keine Schande. Reichtum keine Schuld. Alles trifft sich im Wort. »Habseligkeiten« - ein Wort für die Flucht. Es wäre auch ein sehr, sehr schönes Unwort gewesen.
(ND 25.10.04)
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