25. Oktober 2004
(SZ) Als ob wir nicht schon alle Superlative hätten! Wir kennen Deutschlands größte Dichter und dümmste Bankräuber, seine faulsten Lehrer und knackigsten Luder, die schönsten Parks, Manager, Autobahnausfahrten, Singles, Büros und Leuchttürme. Was noch fehlte, war das schönste deutsche Wort, und das hat uns nun der Deutsche Sprachrat beschert: Habseligkeiten. Es gab im Vorfeld des Wettbewerbs Versuche genug, das Ergebnis zu steuern. Der Schriftsteller Georg Klein plädierte für gegenwartsdankbar, Otto Schily warf die Semmelnknödeln ins Gefecht, Loriot machte sich für die Auslegeware stark, Wladimir Kaminer berauschte sich an den Staatsangehörigkeitsangelegenheiten, und der altfreche Kolumnist Wiglaf Droste steuerte das Mösenstövchen bei, ein Wort, mit dem eine Bekannte die Sitzheizung ihres Autos bezeichnet. Sie alle gingen unter. Es siegten, neben den Habseligkeiten: die Geborgenheit, lieben, der Augenblick sowie, als krasser Außenseiter, die Rhabarbermarmelade.
Will uns der Deutsche Sprachrat damit etwas sagen, und wenn ja, was? Solche Konkurrenzen haben schließlich den gar nicht so heimlichen Ehrgeiz, auf dem Vehikel ihrer Bestenliste einen Befund zu transportieren, in diesem Fall die von ein paar Leit- oder Signalwörtern ablesbare Analyse der gegenwärtigen Volksbefindlichkeit. Deutschland im Spannungsfeld zwischen Habseligkeiten und Rhabarbermarmelade? Das Land, heute gern „Standort“ genannt, ist derzeit so trübe gestimmt, dass man versucht ist, auch die Habseligkeiten negativ zu deuten, auf der Skala der Seligkeiten also eher im Sinn von Arm- als von Glückseligkeit. Die Habseligkeiten kommen meistens im Plural vor, während die Habseligkeit im Singular so selten ist, dass man sich erst fragen muss, was für eine Sorte Seligkeit sie eigentlich ist. Bei Durchsicht der einschlägigen Phänomene kommt man auf die Seligkeit der Leute darüber, dass sie das, was sie haben, nicht nur haben, sondern auch möglichst günstig bekommen haben, weswegen denn die Schnäppchenparadiese die wahren Orte der Geborgenheit – zweitschönstes Wort! – sind.
Der Mann, der Rhabarbermarmelade vorschlug, tat das mit der Begründung, der Tag sei gerettet, wenn er morgens zu seiner Freundin sage: „Barbara, reich mir doch bitte die Rhabarbermarmelade.“ Dass er dafür ein Mobiltelefon bekommt, ist in Ordnung, aber ein Haken bleibt: Was, wenn die Barbara nur des Klanges wegen erfunden wurde, wenn sie in Wirklichkeit Roswitha heißt und morgens um den Honig gebeten wird? So oder so wird der fünfte Platz für die Rhabarbermarmelade zu einem gewaltigen Anschwellen der Rhabarbermarmeladenherstellung führen. Unser Tipp: Geben Sie viel Zucker und eine Orange dazu, sonst kann man das Zeug nicht essen, und dann ist der Tag gelaufen!